Reisen im Biedermeier

Das Reisen mit der Kutsche besitzt eine lange Tradition, erlangte jedoch erst durch den institutionalisierten Postreiseverkehr, wie er sich nach dem 30-jährigen Krieg, d.h. nach 1648, zu entwickeln begann, verkehrsgeschichtliche Bedeutung. Das Zeitalter der Postkutsche beschränkte sich auf einen etwa zwei Jahrhunderte andauernden Zeitraum. Die Verdichtung des Verkehrsnetzes, die gestiegene Geschwindigkeit, der fahrplanmäßige Verkehr, Kostenersparnisse für die Reisenden, die zunehmende Sicherheit, Zuverlässigkeit, Kalkulierbarkeit und Bequemlichkeit des Reisens hatten in den Jahren zwischen 1820 und 1850, also im Biedermeier, ihre Blütezeit erreicht. Mit dem Aufkommen der Eisenbahn kamen die Postkutschen nur noch auf Nebenstrecken zum Einsatz bzw. behielten Zubringerfunktion.

Bildungsinteresse, „weltläufige Neugier“ und geschäftliche Interessen gehörten zu den damaligen Motiven für eine schnelle Beförderung von Personen, Briefen und Gütern. Trotz des Ausbaus des Postverkehrssystems blieb das Reisen mit der Kutsche weiterhin einem privilegierten Publikum vorbehalten. Abgesehen von der Extra-Post kam auf Grund der hohen Kosten auch die Nutzung der Ordinari-Post nur für wohlhabende Kreise in Frage. Mit der Einführung der Schnellpost (in Preußen seit 1821) konnte die Reisegeschwindigkeit auf 8-10 km/h fast verdoppelt werden. Auf gut ausgebauten Strecken erreichte die Schnellpost mit 14 km/h ihre Höchstgeschwindigkeit.

Das Reisen mit der Postkutsche wurde von den meisten Zeitgenossen als Strapaze empfunden und als ein „nur bei dringender Veranlassung notwendiges Unternehmen“ angesehen. Reiseerfahrene Zeitgenossen schildern das Reisen im Postwagen als unbequem und sogar gesundheitsschädlich. Der Reisende ist Langeweile, einem Verlust an Zeit, Schmutz und Staub ausgesetzt und er sieht nichts von der Welt! So gehörten das unbequeme, beengte Sitzen im geschlossenen Wagen, eine schlechte Federung, unliebsame Reisegesellschafter, gestürzte Pferde, gebrochene Räder usw. zum Reisealltag. Passagiere und Personal hatten sich zudem den systembedingten Anforderungen des Postverkehrs anzupassen, der sich seinerseits an den bürgerlichen Tugenden Zuverlässigkeit, Ordnung, Pünktlichkeit und Disziplin orientierte.

Kaum war die Postkutschenzeit vorüber, begann man wieder, sich nach dieser Zeit zurückzusehen.

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Abfahrt einer Bayerischen Eilpostkutsche, Gemälde von Niels Simonsen aus: Klaus Beyrer: „Zeit der Postkutschen“, Dt. Postmuseum Frankfurt am Main 1992